Die unglaubliche Geschichte des Bruno Stefanini

Die unglaubliche Geschichte des Bruno Stefanini

Bruno Stefanini: Der Immobilienkönig, der Kunstsammler, der Mann im alten abgewetzten Mantel geht seinem Lebensende entgegen. Und noch immer fasziniert dieser Mensch so sehr, wie er polarisiert. Warum wissen wir dennoch so wenig über ihn? Der Historiker Miguel Garcia hat sich auf Spurensuche gemacht und hat nun ein packendes Buch geschrieben, welches uns Mythos und Mensch näherbringt. Ein Gespräch über Panzer, Bilder, Häuser, Geld, Kunst und Idealismus. Und über Stefaninis schwierige Beziehung zu Winterthur.

Silvan Gisler: «Eine unglaubliche Geschichte» – mit diesen Worten beginnst du dein Buch. Was ist denn so unglaublich?

Miguel Garcia: Schau mal (öffnet seinen Laptop und zeigt ein Bild). Das ist Bruno Stefaninis Panzer. Den bekam er vom Militärdepartement zum Dank für seine Unterstützung des 50-Jahre-Jubiläums der Generalmobilmachung. Damals fand eine Wanderausstellung durch die Schweiz statt mit einem nachgebauten Dorf aus den Dreissigern. Stefanini hat danach die ganze Kulisse gekauft! Insgesamt eine Viertelmillion Franken hat er für ein paar Häuschen, Schaufensterpuppen und Plastikwürste bezahlt. Das alles steht nun in Brestenberg, wo er unter sein Schloss einen vierstöckigen Bunker in den Hügel hinein gebaut hat. Das ist doch unglaublich. Und dann denkt man gleichzeitig an seine hochwertige Kunstsammlung, an seine Häuser und an seinen Erfolg in den Jahren des Baubooms... Er hat so viele Dinge gemacht, und das auf hohem Niveau.

Naja, man könnte auch einfach Mani Matter zitieren und sagen: «Däm Maa, däm spinnts».

Er war in allem, was er gemacht hat, extrem. Stefanini ist eine ambivalente Persönlichkeit. Vielleicht wird er deshalb auch unterschiedlich wahrgenommen. Die einen schwärmen von seinem Geschäftsgeist und seiner Energie, für andere ist er einfach nur geizig und überfordert.

Es gibt sowieso viele Geschichten über Stefanini, aber die wenigsten Menschen kennen ihn...

Genau! Bruno Stefanini spielt eine ungemein wichtige Rolle in Winterthur: Es wurde stets viel über ihn gesprochen, aber man weiss fast nichts. Das fand ich spannend. Stefanini ist ein Winterthurer Mythos.

Wie kam es zu diesem Mythos?

Sein Schweigen nährt den Mythos. Er blieb bewusst undurchsichtig. Das wurde ihm aber auch zum Verhängnis.

Inwiefern?

Viele hätten Bruno Stefanini besser verstanden und vielleicht auch mehr gewürdigt, wenn er sich mehr erklärt hätte, transparenter gewesen wäre.

Wieso blieb er intransparent? Ist das Teil seiner Persönlichkeit?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, er fühlte sich immer missverstanden von der Öffentlichkeit. Er traute ihr nicht.

Bestätigte sich schlussendlich sein Gefühl? Hat die Öffentlichkeit ein falsches Bild von Stefanini?

Sie hat ein unvollständiges. Als ich mit der Recherche für dieses Buch anfing, fand bald darauf die Ausstellung in Bern statt, bei der er viele seiner Bilder zeigte. Das war seit langer Zeit das erste Mal, dass er positiv wahrgenommen wurde. Bis dahin hat man eigentlich nur Schlechtes über ihn geschrieben. Die Idee des Buches war es, dieses Bild zu korrigieren und auch seine Leistungen zu würdigen.

«Stefanini der Gute» also?

Ich schreibe bewusst von einer «kritischen Würdigung». Weder ist Stefanini reiner Wohltäter noch Bösewicht; ich wollte differenzieren.

Für viele ist der Fall aber klar: Stefanini macht Jagd auf Rendite; Stefanini lässt Häuser willentlich mitten in der Altstadt zerfallen.

Stefaninis Geschäftskonzept ist klar: günstig einkaufen, wenig investieren, viel Rendite herausholen. Aber er liess keines seiner Häuser mit Absicht verfallen. Er war schlicht überfordert. Zudem machen diese Häuser einen sehr kleinen Teil seines Portfolios aus.

Das Sulzer-Hochhaus oder auch die «Gisi» gehören ebenfalls zum Portfolio. Das eine wurde mal für kurze Zeit besetzt, das andere ist es seit 1997 immer noch. Du sagst Bruno Stefanini in deinem Buch gewisse Sympathien für die Besetzerszene nach.

Viele Menschen haben mir erzählt, die archaische Lebensweise der Besetzer und Besetzerinnen hätte irgendwie zu Stefanini gepasst. Er hat sie oft toleriert und meistens erst dann reagiert, wenn Vorwürfe von aussen kamen. Vielleicht wusste er zum Teil auch einfach nichts davon (lacht).

Im Sulzer-Hochhaus aber hat er nach der Besetzung eine Zeit lang mit einer Pistole unter dem Kissen geschlafen.

Ja, das stimmt. Stefanini schlief sowieso mal da, mal dort. In der Villa Schanzengarten an der Büelrainstrasse schlief er beispielweise eine Weile lang. Auch im Bühlhof (Ecke Metzgasse/Steinberggasse), weil dort seine Anker- und Hodler-Bilder im Treppenhaus herumstanden, öfters auch im Büro. Eigentlich wohnte er nirgends wirklich, nachdem seine Familie weggezogen war.

Dabei gehören ihm ganze Siedlungen, beispielsweise in Wülflingen oder Oberwinterthur. Ist das alles reines Business oder ging es Bruno Stefanini auch um die Stadtentwicklung?

Angefangen zu bauen hat er in der Zürcher Agglomeration im Boom der Nachkriegszeit. Später folgten die Siedlungen in Winterthur. Er war Teil der Wachstumseuphorie jener Zeit, und die Nachfrage nach Wohnungen war riesig. Aber es ging ihm nicht um Stadtplanung im heutigen Sinn, sondern ums Geschäft.

Er ist also kein Bau-Patron aus Liebe zu Winterthur.

Stefanini ist Patriot. Aber bestimmt kein Lokalpatriot.

Wieso mag er Winti nicht besonders? Du schreibst von einem schwierigen Verhältnis zu dieser Stadt...

Stefanini wuchs in schwierigen sozialen Verhältnissen auf. Er kommt ursprünglich aus einer Unterschichtenfamilie, ist Secondo, sein Vater war Italiener und Wirt. Vor allem aber hat es ihn sehr getroffen, dass er in Winterthur aus dem Gymnasium geworfen wurde, nach einer nächtlichen Eskapade in der Friedhofskapelle, die neben der Schule stand.

Darum soll er bis heute ein schwieriges Verhältnis zu Winterthur haben? Auch andere Menschen fliegen von der Schule...

Ja. Laut Schulkollegen und Verbindungskollegen aus dieser Zeit hat er sehr darunter gelitten, dass von allen Beteiligten nur er die Schule verlassen musste. Das führte er auf seine Herkunft zurück und nahm es nicht nur der Schule, sondern Winterthur generell übel. Dieser Vorfall sowie seine Herkunft bilden den Ursprung für sein Erfolgsstreben und auch für den Aufbau seiner Kunstsammlung. Er wollte der Stadt zeigen, was er kann. Deshalb hat er auch Werke von den gleichen Schweizer Künstlern gesammelt wie seine Vorbilder Oskar Reinhardt oder das Ehepaar Hahnloser.

Umso seltsamer, dass er die Öffentlichkeit gescheut und die Bilder stattdessen lange gebunkert hat.

Auch mir ist nicht ganz klar, wieso er das verheimlicht hat. Gegen aussen gilt er als bescheiden oder geizig. Seinem Umfeld hat er jedoch schon gerne gezeigt, was er hat. Aber eben: Er hat der Öffentlichkeit schlicht nicht vertraut und dachte, dass sie ihm etwas Böses will.

Bei «bescheiden» und «geizig» kommt mir immer das Bild von Stefanini in den Sinn, wie er in seinem alten abgewetzten Mantel durch die Strassen läuft.

Er wollte ein guter Schweizer sein, sparsam und bescheiden, sah diese Eigenschaften als Tugend an. Sein Migrationshintergrund und sein Wille zur Anpassung wurden bisher zu wenig reflektiert. Zudem trifft das Sprichwort «Von den Reichen lernt man sparen» auch auf Stefanini zu. Es hat ihn gereut, sein hart verdientes Geld auszugeben.

Betitelst du ihn wegen seiner Tugenden im Buch als Idealisten? Denn für mich stimmt das Bild eines Idealisten und das Bild von Stefanini als knallharter Geschäftsmann, der er war, schlicht nicht überein.

Es gingen unter anderem Freundschaften kaputt, weil er knallhart war. Dein Einwand ist somit berechtigt. Doch ich würde nach wie vor sagen: Es ging ihm immer darum, das Richtige zu machen und sich tugendhaft zu verhalten. Ich bin überzeugt, dass er als Teil des in den 60er-Jahren herrschenden Wachstum-Paradigmas davon überzeugt war, mit seinem kapitalistischen Antrieb etwas Gutes zu bewirken. Wenn man seine Briefe liest, dann ist von einem «feu sacré» die Rede. Er und seine Mitstreiter sahen sich als Pioniere, waren Teil einer Aufbruchstimmung. Da ging es um mehr, als einfach nur Geld zu verdienen. Später sah er sein Geld als Mittel, um mit seiner Stiftung etwas für die Allgemeinheit zu leisten. Allerdings hat er das manchmal auch als Ausrede für seine Geschäftspraktiken benutzt.

Heute schwimmt darum auch seine Stiftung für Kunst, Kultur und Gesellschaft im Geld.

Bruno Stefanini bezeichnet seine Firmen heute als «Brotfirmen», die dazu dienen, die Stiftung zu erhalten. Die Idee mit der Stiftung hat sich erst mit der Zeit entwickelt, aber zweifelsohne besitzt diese heute sehr viel Geld. Stefanini selbst bezeichnete sie einmal als «überliquid», dazu kommt das ganze Immobilienportfolio. Doch zuerst muss auch einmal klar werden, was mit dieser Stiftung angestellt werden soll.

Wie wäre es denn mit der Stiftung als Finanzierungspool für die Winterthurer Kulturszene?

Theoretisch wäre das möglich, allerdings hat sie eine nationale Ausrichtung. Die Stiftung ist enorm breit aufgestellt und braucht in Zukunft eine klare strategische Ausrichtung.

Bruno Stefanini wird also noch eine Weile zu reden geben. Bist du nun durch deine Recherchen eigentlich klüger geworden oder verwirrter?

Ich glaube zu wissen, wieso er so reich wurde und was sein Antrieb war. Aber es gibt gewisse Sachen, die sich nicht restlos erklären lassen. Bruno Stefanini wird immer bis zu einem gewissen Grade unfassbar bleiben.

 

Das Buch «Bruno Stefanini: Ein Jäger und Sammler mit hohen Idealen» des Winterthurers Miguel Garcia erschien Anfang März im NZZ Libro Verlag.

  

Miguel Garcia (* 1984) hat an der Universität Zürich Geschichte, Ethnologie und Sozialpsychologie studiert. Zurzeit arbeitet er als Geschichtslehrer und freischaffender Historiker in Winterthur. Für das Coucou wirkte er als Schreiber und war an dessen Mitaufbau beteiligt.

 

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