Paul McCartney ist tot. 1966 bei einem Autounfall ums Leben gekommen und durch einen Doppelgänger ersetzt. Dies besagt jedenfalls eine Verschwörungstheorie, die unter Beatles-Fans zirkuliert. Indizien dafür sollen in Songtexten und auf Plattenhüllen zu finden sein, auch auf dem Cover des Albums «Abbey Road» (Abb. 1): Als einziger überquert McCartney den Fussgängerstreifen mit nackten Füssen (in Grossbritannien werde man barfuss beerdigt, so steht es oft geschrieben), in der rechten Hand hält er eine Zigarette – obschon er Linkshänder sei. Zahlreiche weitere versteckte Hinweise auf den scheinbar vertuschten Tod des Beatles lasen Fans in der von Iain Macmillan aufgenommenen Fotografie. Doch vielmehr als ein Fall für fantasievolle Verschwörungstheorien ist das Cover ein Beispiel dafür, wie sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Musik, Inszenierung und Hör- und Seherfahrung des Publikums zu Popgeschichte verschränken.
Vielseitiges Zusammenspiel
Mit rund 500 weiteren, nicht minder interessanten Schallplattencovern wird die zum Mythos gewordene Aufnahme von März bis Mitte Mai im Fotomuseum zu sehen sein. Die Ausstellung «Total Records» wirft einen Blick auf die gemeinsame Geschichte der Musik, der Fotografie und deren vielseitiges Zusammenspiel auf der Plattenhülle. Die Reise vermittelt die Breite gestalterischer Möglichkeiten und Entscheide und führt durch die Bildwelten der 1960er- bis in die 2000er-Jahre: Von der umwerfenden Grace Jones (auf von JeanPaul Goude inszenierten Porträtaufnahmen wie bei «Slave To The Rhythm», «My Jamaican Guy», «Nightclubbing», «Living My Life» oder zur skulpturalen Ikone stilisiert auf «Island Life», (Abb. 2) über den subaquatischen Säugling auf Nirvanas Platte «Nevermind» zu Miles Davis (Abb. 3), Björk oder der kürzlich verstorbenen Ikone David Bowie (Abb. 4). Oft blieben die Fotografen und Fotografinnen hinter den Aufnahmen unbekannt, ausser Stars wie Anton Corbijn (U2), Robert Frank oder David Bailey (Rolling Stones), Annie Leibovitz (John Lennon) oder Jean-Baptiste Mondino (Prince, Madonna, Stephan Eicher).
Um Schweizer Perspektive erweitert
Kuratiert wurde «Total Records» von Kurator Sam Stourdzé, Sammler Antoine de Beaupré und Musikkritiker Serge Vincendet. Vergangenen Sommer wurde die Ausstellung in Arles während des Festivals «Les Rencontres de la Photographie» gezeigt und kommt nun als Kooperation nach Winterthur. Thomas Seelig, Co-Direktor des Fotomuseums, scheint begeistert: «Uns hat das kuratorische Konzept an der Schnittstelle der beiden Populärkulturen überzeugt. Überrascht hat mich, dass bisher noch keine Ausstellung die enge Verbindung von Fotografie und Vinyl derart umfangreich aufgearbeitet hat.» Mit Yello, Stefan Eicher und Werken aus dem Bereich Punk/Postpunk und von Schweizer Kunstschaffenden wie Fischli/Weiss (Abb. 5) oder Pipilotti Rist (Abb. 6) wurde die Winterthurer Ausgabe um interessante Schweizer Positionen ergänzt.
Turntable und Talks
Doch was wären all die Plattencover im Museum wert – ohne Sound? Wenig. Dieser Ansicht ist auch Seelig: «Mit dem Rahmenprogramm ‹Turntable/Talks› wollen wir eine andere Herangehensweise zur Ausstellung ermöglichen, indem wir Bezug zu Schweizer Positionen und zum Heute nehmen.» Ideal für ein breites Publikum: Statt «bloss» über Fotografie zu sprechen, werden Besucher und Besucherinnen in die Musik eintauchen können. Anfang April etwa wird der Berner Musikexperte Sam Mumenthaler über die kurze, aber lebendige Geschichte des Luzerner Beat-Labels Layola berichten, bei dem Bands wie The Sevens, The 5 Dorados oder die Savages ihre ersten Platten veröffentlichten. Den Sound dazu legt er ab 15 Uhr im Ausstellungsraum auf – ebenso Veit Stauffer zwei Wochen später. Als Mitgründer des Schweizer Labels REC REC hat Stauffer die hiesige Independent-Musikgeschichte seit Anfang der 1980er-Jahre massgeblich mitgeprägt. Wer mit diesem reichen Bilder- und Klangschatz noch immer bilderhungrig ist, kann sich in der Fotostiftung nebenan den Porträts von Barbara Davatz widmen. Sie bildet Personen aus der Punkszene der 1980er-Jahre ab. Den Sound allerdings muss dann jeder und jede für sich selbst mitnehmen.
«Total Records» eröffnet am 27.2. im Fotomuseum Winterthur. Informationen zu Ausstellung und Begleitveranstaltungen: www.fotomuseum.ch