«Ich schreie, weil es befreiend ist»

Hathors taufen am 30. April ihr zweites Album «Brainwash» im Salzhaus. Coucou hat sich mit Sänger und Gitarrist Marc Bouffé über seine Musik und die Rockstadt Winterthur unterhalten.

Marc, wir machen nun ein Spiel: Ich spiele dir jeweils einen Song vor und du musst raten, von welcher Band er ist und mir zu jeder Band kurz was erzählen.

Bad Breedings – Age of Nothing von der 7“ Single Burn This Flag (2014)

 

Sind das Pissed Jeans? Ah nein, Bad Breedings! Was gerade rund um dieseBand, sowie Pissed Jeans, Metz und Cloud Nothings passiert, ist sehr spannend. Es handelt sich dabei fast schon um eine neue Grunge-Bewegung. Bad Breedings zum Beispiel spielen sehr minimalistischen Post-Punk. Wenn ich mir einen Traum erfüllen könnte, dann wäre es mit Hathors, als Vorband von Metz, eine meiner Lieblingsbands, und von Bad Breedings auf Tour zu gehen. Musikalisch würde das bestens passen.

 

Forks – Snake vom Album Forks (2014)

Das klingt nach Monoski? Nein, warte! The Forks aus Vevey! Ich liebe die Band überall alles. Wir haben schon mehrmals mit ihnen zusammengespielt. Auch an unserer Plattentaufe am 30. April im Salzhaus sind sie mit dabei. The Forks sind inzwischen gute Freunde geworden. Der Gitarrist Mehdi Benkler hat an einem Festival in Frankreich fotografiert. Wir waren von seinen Bildern so begeistert, dass wir ihn baten, auf unsere Frankreich-Tour mitzukommen. Auf Tour erzählte er uns schliesslich von seiner Band aus Vevey, die Krautrock macht und inzwischen auch ausserhalb der Schweiz erste Erfolge feiert.

The Forks sind Teil einer grossen, sehr internationalen Independent-Community in der Westschweiz. Leute aus dieser Community organisieren Festivals. Es gibt ein kleines Fernsehstudio, in dem Konzerte organisiert und aufgenommen werden, wenn eine Band auf Tour mal einen freien Tag hat.

 

Lydia Lunch und Roland S. Howard – Solar Hex vom Album Shotgun Wedding (2013)

 

Das ist Lydia Lunch. Sie hat so viel gemacht – ich kenne gar nicht alles. Der Fokus ihrer Songs liegt vor allem auf ihren Geschichten. Lydia Lunch ist eine der Legenden der No Wave Bewegung , die in den 1980er-Jahren in New York entstand. Sie begegnet mir immer wieder, obwohl ich ihre Musik nie aktiv gesucht habe.

 

Gallon Drunk – The Dumb Room vom Album The Soul of the Hour (2014)

 

Ja, sehr cool. Das sind Gallon Drunk. Ein Teil der Band speilt bei Lydia Lunchs Band Big Sexy Noise mit. Auf die Band bin ich gekommen, weil The Forks kürzlich als Vorband von Lydia Lunch gespielt haben. Ausserdem hat mir der Fotograf Steve Gullick, der mit uns einen Live-Videoclip gedreht hat, empfohlen, die Band anzuhören. Gallon Drunks stehen zurzeit für das, was gerade rundherum passiert. Viele Künstler wie Dejan (Kaleidoscope of Nothingness), der an unserer Plattentaufe eine Installation im Salzhaus macht, hat schon mit Lydia Lunch zusammengearbeitet.

Vom Songwriting finde ich Gallon Drunk ebenfalls sehr spannend: Sie mischen Punk Blues und Jazz in ihrem Sound. Das ist, was ich bei Hathors auch umsetze. Ich habe als Jugendlicher Saxophon und deshalb viel Jazz gespielt. Damals habe ich angefangen, mit Kontrasten zu spielen, was es so im Grunge nicht gibt.

 

Euer zweites Album «Brainwash» habt ihr beim Produzenten John Agnello in New York mixen lassen. Agnello kommt ebenfalls aus dem Umfeld der 80er-No-Wave-Bewegung rund um Lydia Lunch.

John Agnello hat bereits mit Dinosaur Jr. oder Sonic Youth gearbeitet , aber auch mit Grunge Bands wie TAD oder Mark Lanegan/Screming Trees. Für das Album habe ich jemanden gesucht, der in dieser Art von Musik zuhause, aber dennoch «openminded» ist. John verstand die Energie in unserer Musik. Das war mir beim Songwriting besonders wichtig. Wir hatten das Glück, in ihm jemanden zu finden, der sich in unseren Sound reinfühlen konnte und die Wärme darin belassen hat.

 

Wie seid ihr auf John Agnello gekommen?

Gute Frage. Vielleicht wegen all den Bands, die ich höre und er die Sachen produziert hat... Ah nein! Das war so: Wir reisten 2011 nach New York an das CMJ-Music-Festival. Unser damaliger Manager bekam über die Band Favez den Kontakt von John Agnello. Wir haben uns dann bei ihm gemeldet und mit ihm über das Album gesprochen. Zuerst wollten wir bei ihm in New York aufnehmen. Doch das Budget liess es nicht zu, noch einmal nach New York zu reisen. Also entschieden wir uns, das Album im Bandraum live aufzunehmen und ihm die Sachen zu schicken.

 

Hathors – Brainwashing Television vom Album Brainwash (2015)

Haha, ja, das ist unser Song. Den wollten wir schon auf das erste Album nehmen. Damals passte er aber nicht zu den anderen Songs. Das letzte Album war zwar cool, aber etwas überproduziert. Bei «Brainwash» haben wir nun alles live eingespielt und viel Lärm mitaufgenommen. Es hat eine ganz andere Energie. Auch das Artwork des Albums entspricht visuell dem Live-Konzept: Es sind Fotos, die Medhi Benkler an einem Konzert gemacht hat.

 

Useless – Liar von der EP Useless (2014)

Das ist die neue Rockband von Winterthur. Wenn sie so weitermachen, können sie es weit bringen. Das war auch der Grund, warum ich mit Useless in meinem Studio, Working Class Recordings, eine erste EP aufgenommen habe, und sie nun auch an der Plattentaufe von Hathors spielen. Die ganze Band ist sehr aktiv und Teil einer Community, die sich gegenseitig weiterbringt. Es passiert immer etwas. Sie sind sehr kreativ, machen Videoclips oder bedrucken T-Shirts. Ich glaube stark an die Band.

Als ich in ihrem Alter, also um die 20 Jahre alt, war, kam kein Musiker, der es bereits etwas weiter gebracht hatte, zu uns und sagte: «Hey, ich finde das cool, was ihr macht. Kommt doch zu mir ins Studio. Wir nehmen ein Demo für fast kein Geld auf.» Das ist eigentlich das Einzige, was ich machen kann: Als Musiker Leute inspirieren und sie in diese «Sucht» hineinreissen. Erst wenn man glaubt, dass etwas möglich ist, kann etwas entstehen. Viele hören viel zu früh wieder auf, weil ihnen den Mut fehlt. Und viele spielen jahrelang im Proberaum, kommen aber nicht auf die Idee, ihre Aufnahmen an einen Club zu schicken – aus Angst, dass ihnen jemand sagen könnte, ihre Musik sei schlecht.

 

Rue des Cascades – Sertraline Symphonie II vom Album Katalepsie (2014)

Das ist genau das, was ich meine: Rue des Cascades gehören auch zum Umfeld von Useless. Ihr Songwriting finde ich extrem spannend: Sie machen sehr dynamische Musik, bauen einen Song langsam auf, bis er im richtigen Moment «explodiert». Als ich mit ihnen im Studio war, habe ich gestaunt, wie sehr sie als Band davon, was sie machen, überzeugt sind. Sie sind sehr gut aufeinander eingespielt. Jeder Song auf dem Album wurde konstruktiv zusammen besprochen. Dieses Miteinander fand ich schön zu beobachten.

 

77 Bombay Street  – 47 Millionaires vom Album Up in the Sky (2011)

 

Wer ist das? Amy McDonald? Mir sagt die Stimme etwas. Admiral James T.?

 

Nein, 77 Bombay Street.

Ah ok. Ist ein schöner Popsong... Ich halte nicht viel von dieser Weichspüler-Lift-Musik. Sie sind sicher alle gute Musiker und haben Freude an dem, was sie machen. Es gefällt mir einfach nicht. Ich höre lieber Musik, die experimentiert und versucht, neue Wege zu gehen.

 

Navel – The World is on Fire vom Album Songs of Woe (2014)

Das ist Navel und ihr neues Album: Sehr geil. Ihr Frontman, Jari Altermatt, ist ebenfalls einer, der sehr viel macht, Bands aufnimmt – alles Do-It-Yourself. Basel hat ausserdem eine sehr coole Musikszene, auch wenn die Szene vor allem im Underground funktioniert. Hathors sind beim gleichen Management wie Navel. Wir sind also auch schon fast halbe Basler.

 

Was ist der Grund dafür, dass du noch immer in Winterthur wohnst?

Es kommt nicht darauf an, wo du Musik machst, sondern wo du wann bist, um die richtigen Leute kennenzulernen. Ich habe in Winterthur meine Band, bin aber sonst viel unterwegs.

Winterthur ist die kleine ruhige Stadt neben Zürich, sehr überschaubar, und man kennt die Leute. Zudem gibt es eine sehr interessante lokale Szene. In Winterthur gibt es im Moment alles, was es dafür braucht: Studios, um junge Bands aufzunehmen, Festivals, Konzertlokale, ein Radio, ein Magazin und dann noch ein paar gute Bands. Und was das Konzertprogramm angeht, ist Winterthur zurzeit die beste Stadt für Rock-Interessierte. Das was gerade im Salzhaus (Lokal Total), Gaswerk und im Albani zu sehen ist – der Wahnsinn!

 

Welchen Song empfiehlst du der Coucou-Leserschaft, sich mal anzuhören?

Benjamin Booker – Violent Shiver vom Album Benjamin Booker (2014). Das ist eine meiner Entdeckungen vom letzten Sommer. Ich fuhr für zwei Tage an den Strand und kaufte mir das «RollingStone». Die Beschreibung der Musik passte zu meiner Stimmung, also habe ich reingehört und dann die Zeit am Strand damit verbracht, die Songs nachzuspielen.

Benjamin Booker kommt aus New Orleans, der Stadt des Souls. Vielleicht klingt es jetzt doof, wenn einer, der in einer Band wie Hathors spielt, nun über Soul spricht, aber das Statement passt zu dem, was ich in der Musik umsetzen will. Es geht darum, Emotionen auszudrücken und das zu vermitteln, was dich im Hier und Jetzt berührt und dieses Gefühl tief aus dem Körper herauszukriegen: Viele Leute interpretieren schreienden Gesang als eine negative Ausdrucksweise. Wenn ich schreie, wirkt dies auf mich befreiend und es fühlt sich positiv an.  

 

  

Plattentaufe von Hathors

Mit Forks, Useless und Dejan und Tenko,

Installation von Dejan (Kaleidoscope of Nothing)

Donnerstag, 30. April, 20 Uhr, Eintritt: CHF 20

Salzhaus WinterthurUntere Vogelsangstrasse 6

Mehr Infos: www.hathors.info

 

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