«Mit meiner Musik spalte ich das Publikum»

«Mit meiner Musik spalte ich das Publikum»

Sphärisch, düster, aber warm; tief und konkret: So klingt der Sound von Elena Tschannen alias «L.N/A». Ein Gespräch über das DJ-Sein und über die Techno-Kultur in Winterthur

Am Wochenende bist du als L.NA, Delaine oder Captain Elaine oft in Clubs unterwegs. Unter der Woche bist du aber auch immer mal wieder auf Filmsets anzutreffen. Was macht du beim Film?

Regieassistenz und Set-Aufnahmeleitung. Der Job lässt mir sehr viele Freiheiten – gerade wenn ich mal einen Monat auf Tour bin oder ich wieder mehr Musik machen möchte. Im Alltag fehlt oft die Zeit, um kreativ zu sein.

 

Bei was für Filmproduktionen arbeitest du als Regieassistentin mit?

Hauptsächlich bei Schweizer Filmen. In den letzten zwei oder drei Jahren habe ich bei vielen Kinofilmproduktionen – kleine und grosse – am Set mitgearbeitet. Beispielsweise bei «Liebe und Zufall», dem neusten Film von Fredi Murer, bei «Heimatland» oder «Der Polder» – eine Co-Produktion mit einer deutschen Produktionsfirma, für die ich fünf Wochen im Ausland war. Der letzte war ein Nachwuchsfilm von neun Regisseuren, die aber zum Glück nicht alle gleichzeitig auf dem Set standen. Jeder führte bei einer Episode Regie. Es sind sehr verschiedene Filmprojekte – genau das was ich spannend finde. Denn wenn mein Alltag zu gleich ist, wird mir langweilig. Ich habe in Basel, wo ich aufgewachsen bin, zuerst eine Lehre als Köchin gemacht, dann mal als Stagehand, Tontechnikerin oder Gärtnerin gearbeitet. Da war alles dabei. Ich brauche immer wieder neue Herausforderungen, wie auch in der Musik: Neue Orte, neue Leute, neue Begebenheiten.

 

Auch neue Musik-Genres? Wann hast du den Techno für dich entdeckt?

Mit dreizehn oder vierzehn Jahren habe ich bereits angefangen Techno zu hören. Dann habe ich mich aber für Stoner-Rock und Metall angefangen zu interessieren und begonnen, E-Gitarre und Schlagzeug zu spielen, auch in verschiedenen Bands. Über den Breakcore, eine Kombination aus elektronischer Musik und Metall, habe ich dann zum Drum’n’Bass, Dup-Step und Jungle gefunden. Basel hatte zudem auch eine recht grosse Drum’n’Bass-Szene.

Mit zwanzig begann ich dann auch, aufzulegen – das waren aber ganz andere Sachen, als heute: viel düsterer und spezieller. Damals kaufte ich mir auch meinen ersten Sequenzer, ein Drum-Computer, mit dem ich viel experimentierte. Mit Freunden traf ich mich jeweils in einem Keller: Wir stellten die analogen «Grätli» auf, koppelten auch mal mehrere aneinander und begannen damit Musik zu machen. Bei diesen Party-Sessions ging es nicht darum, dass viele Leute kommen, sondern dass die zwanzig Personen, die da waren, zusammen Spass hatten.

Die Keller-Partys stiessen auf immer mehr Interesse. Jemand hat mich dann einmal an einen grössere Party in Biel eingeladen – an den Gig kann ich mich noch gut erinnern. Ich spielte meine zwei-Stunden-Sets bis dahin nur in kleinen Kellern und an Partys von Freunden und stand dann plötzlich vor 500 bis 600 Leuten.

 

Wie haben die Leute auf deinen Sound reagiert?

Es war recht schön, zu merken, dass das, was du machst beim Publikum gut ankommt und funktioniert. Der Sound war recht speziell und es hatte niemand erwartet, dass ich da hin stehe und solche Musik mache. Irgendwie habe ich eine unglaubliche Welle ausgelöst. Ich wurde dann für andere Gigs angefragt, spielte in Bern und anderen Schweizern Städten, dann auch Solo-Gigs im Ausland, zum Beispiel in Freiburg. Zuerst war es ein Set pro Wochenende, irgendwann dann zwei...

 

...und immer öfter in Deutschland. Du hast ja auch für kurze Zeit in Berlin gewohnt. Wie kam es dazu?

Ich hab ein halbes Jahr in Berlin gewohnt, war aber schon vorher oft wegen der Musik dort. Nach Berlin gezogen bin ich wegen «Subvasion», dem Projekt mit der Berliner-Electronica-Band Guts Pie Earshots. Bereits 2009 war ich zehn Tage mit ihnen als Support auf Tour, 2011 dann für eine Woche in Berlin. Wir jammten bei ihnen im Bandraum und fanden es so super, dass wir beschlossen, Aufnahmen zu machen. So entstand «Subvasion». Ich bin dann nach Berlin gezogen, um von dort aus die ganze Promo-Arbeit für die Tour zu machen. In dieser Zeit hatte ich dann auch viele Live-Gigs in Berlin und Norddeutschland. Ich hab aber schon vor der Subvasion-Tour an grösseren Partys und Festivals gespielt, 2009 zum Beispiel am Fusion-Festival.

 

Die «Fusion» ist eines der grössten Festivals für elektronische Musik, Kunst-Installationen und Performances. Wie ist es, dort zu spielen?

Sehr eindrücklich. Ich kannte die Fusion damals nicht. Mit der Anfrage wusste ich, dass nun etwas sehr Grosses auf mich zukommt. Ich war etwas skeptisch, weil ich eigentlich lieber in kleinen Kellern spiele und Festivals nicht wirklich mag. Das Fusion-Festival hat mich wegen der Atmosphäre jedoch sehr beeindruckt. Ich spielte von Mitternacht bis zwei Uhr morgens. 1000 bis 1500 Leuten standen vor der Bühne und ich war sehr nervös. Vor so einer grossen Menschenmenge zu spielen ist sehr anonym: Vor dir steht eine wippende Masse. Es ist ein anderes Gefühl, als wenn ich an einem Ort wie dem «Klubi» in Zürich spiele. Da bin ich nervös, weil ich die Leute kenne.

 

Als L.N/A spielst du ja vor allem Live-Sets. Seit kurzem legst du aber wieder öfters auf als Vilou, Elaine, Delaine oder Captain Elaine. Warum die verschiedenen Namen?

Auflegen ist für mich ein Hobby. L.N/A ist der Name, den ich nur für meine Live-Sets benutze. Diese sind viel persönlicher: Durch die Musik drücke ich bei diesen Sets das aus, was ich nicht in Worte fassen kann. Es ist sehr viel mehr dahinter, als beim Auflegen einen guten Mix an Songs zu präsentieren.

 

Wie würdest du deinen Sound beschreiben?

Sphärisch, düster, aber warm; tief und konkret – mit sehr klaren Beats ohne viel Schnickschnack.

 

Du machst keinen Mainstream-Techno, sondern eckst manchmal beim Party-Volk in den Clubs auch an. Gewollt?

Ich finde es spannend, wie verschieden die Leute auf meinen Sound reagieren. Manche hören ganz andere Musik, können sich aber mit meiner Musik sehr gut anfreunden, andere überhaupt nicht. Ich finde es auch wichtig, dass Musik das Publikum spaltet – gerade in der heutigen Zeit, wo es bei vielen Partys nur darum geht im 4/4-Takt mitzuwippen und dazu ein Bier zu trinken. Will ich hier sein? Mag ich das, was läuft? Will ich das hören? – Oft muss man sich dies gar nicht fragen. Das Party-Volk muss keine Entscheidungen treffen, weil die Musik massentauglich daherkommt. Bei meinen Sets ist es so: Die Leute bleiben oder gehen. Wenn sie gehen, bleiben diejenigen, die zuhören wollen. Gerade bei meinem Auftritt an der Fusion fand ich das sehr schön: Dort gibt es 30 Gigs mit unterschiedlichsten Musikstilen, die parallel stattfinden. Wenn das Publikum bleibt, dann deinetwegen.

 

Du bist ja auch bei verschieden Projekten dabei, unter anderem bei «Mascarpone Tunes».

Ja, durch Jamiguel Walther alias «T. Kornstrasse» bin ich da hineingerutscht. Mascarpone Tunes machen unkommerzielle Events. Es ist eine Community für Kleinkünstler, die elektronische Musik machen. Daneben gibt es noch Paradisco, ein kleines Label, das kleinere, private Partys veranstaltet, ebenfalls möglichst unkommerziell. Ansonsten? Ich habe viele DJs in meinem Freundeskreis. Mit ihnen veranstalte ich regelmässig kleinere Sachen.

 

Und bei Radio Stadtfilter moderierst du den Housefilter.

Genau, jeden ersten Donnerstag gibt es den Housefilter mit T. Kornstrasse und mir. Der Musikstil geht in Richtung Tech-House, Deephouse. Wir stellen Techno-Partys vor, die wir spannend finden, laden verschiedenste Leute ein und reden über Musik, über DJs, über Underground und  Kommerz, über Vinyl oder Digital. Oder auch darüber, was Techno-Kultur ist, beziehungsweise ob wir noch eine haben.

 

Und gibt es in Winterthur eine Techno-Kultur?

Ja. Es gibt in letzter Zeit wieder vermehrt kleine Partys, im Sommer auch öfters mal Outdoorpartys. Und mit dem Hangar 11 gibt es auch erstmals einen Techno-Club. Vorher gab es zwar den Reaktor, das war aber von der Musikrichtung etwas anders.

Wenn man Winterthur mit Zürich vergleicht, ist Winti sehr viel familiärer. In Zürich werden die Partys von Leuten überrannt, die keinen Anspruch an Musik haben. In Zürich läuft oft das gleiche,  die immer gleichen DJs spielen in der Büxe, dann im Hive, am nächsten Tag in der Zuki. In Winterthur hingegen ist das Musikinteresse relativ gross und es ist möglich, Sachen zu machen, welche die Leute interessieren. Winterthur ist kleiner und hat einen ganz eigenen Groove.

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