Daheim auf dem Bettlihof

Daheim auf dem Bettlihof

Bereits drei Saisons verbrachte der Berliner André Simonow auf dem Bettlihof. Die Ruhe auf dem Land dient dem freischaffenden Fotografen als Rückzugsort und Inspiration.

Von Acker- und Weideflächen umgeben, befindet sich der Bettlihof auf einer idyllischen Ebene zwischen Elsau und Tollhausen. In Gummistiefeln und Arbeitskleidung kommt mir André Simonow aus dem Bauernhaus entgegen. Er hatte soeben Mittagspause und will nun einen Zaun aufbauen, um damit ein frisches Stück Weide für die Kühe abzustecken. Ich begleite ihn auf diesem Rundgang, der uns über zwölf Hektare Land führt.

Im Jahr 2010 war André Simonow das erste Mal auf dem Bauernhof. Damals brauchte er eine Auszeit vom umtriebigen Berliner Stadtleben. Obwohl André in Berlin Mitte aufwuchs, ist ihm auch das bäuerliche Landleben dank seiner Familie in Russland vertraut. Er verbrachte die Schulferien oft bei den Grosseltern, die einen Hof in Makeschkino bei Belgorod haben. Der Entscheid, eine Saison auf dem Land zu verbringen, lag daher nahe. Auf einer Internetseite für Saisonniers wurde er auf den Bauernhof von Klaus Lamatsch aufmerksam. Klaus ist im Eulachtal aufgewachsen, verbrachte aber immer wieder ein Sommer in den Alpen. Auch auf dem Bettlihof widmet er sich der Kuhhaltung. Und weil diese viel Zeit in Anspruch nimmt, ist Klaus vor allem während der Sommermonate auf Unterstützung angewiesen. Der Umgang mit den Tieren muss geübt werden, insbesondere das Melken verlangt viel Feingefühl, weshalb es sinnvoll ist, wenn ein*e Saisonarbeiter*in über längere Zeit mithilft. André verbrachte seit 2010 bereits drei Saisons auf dem Bettlihof und half Klaus jeweils von Mai bis Oktober bei den Arbeiten.

«Die körperliche Arbeit tut mir gut», sagt André, während er die mit Holzpfählen beladene Schubkarre über die bucklige Weide schiebt. Der ruhige Alltag helfe ihm, über seine Arbeit in Berlin nachzudenken und die nötige Distanz zu gewinnen. So dient ihm das Leben auf dem Land einerseits als Rückzugsort, andererseits als Inspiration für sein künstlerisches Schaffen. «Meine Fotografien, die auf dem Bauernhof entstanden, stellen das einfache Leben dar, das in der Stadt oft als ungewöhnlich empfunden wird und auf viel Interesse stösst», sagt André. Er hält flüchtige Momente fest, ungezwungene Porträts von einfachen Leuten, Bilder idyllischer Landschaften. «Langfristig könnte ich mir dieses Leben aber nicht vorstellen.» Als Vollzeitbauer bleibe kaum Zeit für andere Interessen.

Trotz der wenigen Freizeit, die er als Saisonnier zur Verfügung hat, findet er immer wieder einen Weg, um seinen Interessen nachzugehen. «Während meiner ersten Saison war ich tagsüber auf dem Hof und abends dann in irgendeiner Bar mit Freund*innen», sagt André. Für solche Abende nahm er es manchmal in Kauf, nur wenige Stunden zu schlafen, um am nächsten Morgen trotzdem wieder früh im Stall zu stehen.

Auch das Fotografieren hat André in seinen Alltag als Saisonnier integriert. Mit einer analogen Kamera und einem Selbstauslöser macht André Selbstporträts während der Arbeit. «Während andere Arbeiter*innen eine Pause machen, um eine zu rauchen, platziere ich meine Kamera.» Die so entstandenen Selbstporträts zeigen André in Arbeitskluft auf dem Acker, auf Heubuckeln und zwischen Kühen. Die Fotos sollen den Alltag auf dem Bauernhof erlebbar machen – «In schönen Bildern, wohl portioniert, sodass man auch wieder loslassen kann», sagt André. Diese Fotos wurden bereits in Deutschland und Italien gezeigt und noch dieses Jahr soll eine grössere Ausstellung mit Fotos ausschliesslich aus den drei Saisons entstehen. Andrés Fokus liegt zurzeit auf seiner künstlerischen Arbeit in Berlin, eine weitere Saison auf dem Bettlihof ist, wenn auch nicht ausgeschlossen, bis jetzt noch nicht geplant.

Die Erfahrungen, die er auf dem Bauernhof gemacht hat, gingen jedoch nicht spurlos an ihm vorbei. Neben der entstandenen Fotoserie hat er vor allem ein tieferes Verständnis für die Natur und die Ernährung entwickelt. «Und für die Schweizer Eigenart», fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. Bei Besuchen fühle er sich nicht mehr so fremd wie bei seinem ersten Aufenthalt. Durch Freund*innen und Ausstellungen, die er mit der Sammlung Simonow in Zürich plant, behält André den Kontakt zur Schweiz.

 

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