Die Zeit-Uhr von Beat Haldimann, Thun, Leihgabe: Privatbesitz. Foto: Michael Lio

Gastspiel: Die Zeit-Uhr
von Beat Haldimann, Thun

Seit Urzeiten versuchen Menschen den Gang der Zeit zu begreifen. Periodische Vorgänge wie der Sonnenstand und die Mondphasen ermöglichen es, Zeit zu quantifizieren und zu zählen – und in der Folge Uhren zu konstruieren. Im Zentrum der Manufaktur Haldimann, deren Familientradition bis ins Jahr 1642 zurückreicht, steht die mechanische Uhrmacherkunst auf höchstem handwerklichem Niveau.

Die Tradition der klassischen Zeitanzeige von mechanischen Uhren bricht Uhrmacher Beat Haldimann (*1964) heute mitunter ganz bewusst, indem er die Grenzen des Mediums grundlegend auslotet. Er wurde 2002 als einer der zwanzig bedeutendsten Uhrmacher der Welt ausgezeichnet und erhielt 2009 für sein Lebenswerk den renommierten Prix Gaïa. Mit seiner Kreation H9, dem «schwarzen Loch am Handgelenk», näherte er sich 2008 mit radikaler Reduktion bereits der Erfahrbarkeit von Zeit an, 2013 widmete er sich mit der «Zeit-Uhr» nun der Abbildbarkeit von Zeit.

Wie kann die Wahrnehmung von Zeit abgebildet werden? Wie lassen sich Zeitspannen und ihre Veränderungen darstellen? Die «Zeit-Uhr» von Haldimann verfolgt einen geradezu philosophischen Ansatz und verknüpft die Messung der Zeit mit einer vereinfachenden, formalen Abbildung der Wahrnehmung der Zeit. Sie vereinigt dabei höchste Uhrmacherkunst mit der Mathematik von Logarithmen.

Der Stundenzeiger der «Zeit-Uhr» zeigt die aktuelle herkömmliche Uhrzeit an: Ein Kreis mit einer Markierung des «Jetzt» rotiert im Uhrzeigersinn einmal in zwölf Stunden und erdet die «Zeit-Uhr» in der Tradition mechanischer Uhren. Die ziffernlose Zeitanzeige verzichtet auf einen Minuten- und einen Sekundenzeiger.

Die zwei Spiralen des Suspiratenzeigers (vom lateinischen «suspiratio», tiefer Atemzug) sollen die Wahrnehmung von der Zeitdauer abbilden. Zwei halbabgedeckte logarithmische Spiralen rotieren deshalb gegenläufig im Gleichtakt mit dem Stundenzeiger. Diese verweisen auf die perspektivische Wahrnehmung von Zeit.

Das resonierende Halbsekunden-Doppelpendel verweist daneben auf das gleichzeitige Vergehen der Zukunft mit dem Werden von Vergangenheit. Jeder Schlag des Zukunftspendels verkündet, dass eine halbe Sekunde der Zukunft eben vergangen ist, während das Vergangenheitspendel ankündigt, dass eine weitere halbe Sekunde nun der Vergangenheit angehört. 

Die Uhr erschafft eine räumlich geordnete Trilogie aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft: dem Stundenzeiger und den zwei Spiralen des Suspiratenzeigers. Dass die räumliche Vorstellung von Zukunft und Vergangenheit kulturabhängig ist, wird mit der Anordnung des Suspiratenzeigers thematisiert. Die Leserichtung von Vergangenheit zu Zukunft – bildlich von links nach rechts – bezieht sich auf die Kultur des Lesens von links nach rechts, die ihren Ursprung im Altgriechischen hat. In anderen Modellen der «Zeit-Uhr» variiert die Leserichtung von der Vergangenheit zur Zukunft andersherum, nämlich von rechts nach links oder von oben nach unten. Somit verändert sich mit der Ordnung des Suspiratenzeigers nicht nur die Gestaltung der Uhr, sondern versinnbildlicht auch die kulturell unterschiedlich geprägte räumliche Vorstellung von Zeit.

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